Surfen, Spätzle und Weihnachtsstimmung bei 30°C

Oi gente!

Bei mir haben pünktlich zur Weihnachtszeit die Sommerferien angefangen. Ich habe seit dieser Woche bis nach Fasching schulfrei. Langweilig wird es mir aber vermutlich nicht, ich bin zurzeit eigentlich fast jeden Tag mit Freunden oder meiner Gastfamilie am Strand. Heute hatte ich sogar meine erste Surf-Stunde. Es war zwar sehr anstrengend, hat aber unglaublich viel Spaß gemacht. Ich habe es sogar schon geschafft, ein paar Wellen im Stehen zu bezwingen. Es freut mich riesig, dass ich als Allgäuerin die Möglichkeit habe, Surfen zu lernen.



Im November hatte meine Schule eine Aktion, bei der wir Schüler die Geschichte unserer Schule vorgestellt haben. Das Colégio Stella Maris wurde 1911 von Klosterfrauen gegründet, die aus Deutschland nach Brasilien gekommen sind. Die Möglichkeit hat meine Klasse genutzt, um Spenden, in Form von Hygieneprodukten, für ein Altenheim zu sammeln. Diese haben wir dann auch selbst überreicht und uns danach noch mit den Bewohnern unterhalten. Ich habe länger mit einer Dame geredet, die etwas genuschelt hat und da mein Portugiesisch auch noch nicht perfekt ist, habe ich sie leider nicht ganz verstanden. Ich habe dann einfach etwas gemacht, was Austauschschüler ziemlich oft machen, wenn sie nichts verstehen: einfach nicken und lächlen. Danach haben meine Klassenkameraden mir erzählt, die Frau habe mich gefragt ob ich die Schwester eines meiner Klassenkameraden bin - was ich mit meinem Nicken wohl bestätigt habe. Trotzdem, oder vielleicht sogar deswegen, war es eine sehr schöne und fröhliche Begegnung.



In der Schule wurde ich von meinem Geschichtslehrer gebeten, ein Referat über die Sicht der Deutschen auf Hitler zu halten. Es ist kein leichtes Thema und ehrlich gesagt ist es mir ein bisschen schwer gefallen, als einzige Deutsche meinen Klassenkameraden von den schrecklichen Verbrechen Deutschlands während des zweiten Weltkriegs zu erzählen. Mittlerweile ist zwar meistens die erste Assoziation der Brasilianer mit Deutschland das 7:1, trotzdem sind mir manchmal ein paar Anspielungen und sogar Hitlergrüße begegnet. Die ersten Male war ich sehr geschockt darüber, habe aber nach einer Weile verstanden, dass es lustig und nicht beleidigend gemeint war, was für mich schwer nachzuvollziehen ist. Allerdings wird dieses Thema in Südamerika verständlicherweise nicht so sensibel und ernst behandelt, wie in Deutschland. Gerade deshalb war ich froh über die Möglichkeit, offen darüber reden zu können, wie wir in Deutschland darüber denken. Sogar mein Geschichtslehrer war sehr erstaunt über die Erinnerungskultur und Schuldgefühle.

Ende des Monats wurde mein Gastbruder 25, was typisch brasilianisch mit einem Grillfest mit der Familie und Kuchen gefeiert wurde. Außerdem sind wir in ein besonderes Restaurant gefahren, das Flusshaus heißt. Wie der deutsche Name vermuten lässt, gab es dort viele Spezialitäten aus meiner Heimat und die Kellner haben in Dirndl und und Lederhose bedient. Der Süden Brasiliens ist sehr europäisch geprägt und auch viele deutsche Einwanderer wohnen hier. Deshalb ist oft deutsche Kultur zu finden, auch das größte Oktoberfest außerhalb Deutschlands wird hier gefeiert. Ich habe sogar schon Menschen getroffen, die in deutschen Siedlungen aufgewachsen sind und Deutsch sprechen. Einmal habe ich gelesen, "der Süden Brasilien kommt Europäern wie eine vergilbte Kopie ihrer Heimat vor", was ich bestätigen kann. Es ist schon manchmal bizarr zum Beispiel brasilianische Biermarken mit deutschen Namen (z.B. Eisenbahn) zu sehen.
Ich habe mich sehr gefreut, im Flusshaus Spätzle zu finden. Vor ein paar Tagen hab ich diese auch für meine Gastfamilie gekocht, da ich aus Deutschland einen Spätzlehobel geschickt bekommen habe.


Spätzle im Flusshaus 

meine selbstgemachten Spätzle

Ende November hat meine Klasse eine eigene Party veranstaltet, um Geld für ihre Abschlussfeier und -fahrt zu sammeln. Das Fest war in einem Club hier in Laguna, drei DJs haben aufgelegt. Auch wenn Allgäuer Dorffeste natürlich schwer zu toppen sind, macht es unglaublich Spaß, in Brasilien bei extrem guter Stimmung mit brasilianischem Funk zu feiern.



Während das Wetter immer wärmer wird, rückt Weihnachten immer näher. Ich glaube aber, dass ich in meinem Jahr ohne Winter bei über 30°C und täglichen Strandbesuchen nur wenig in Weihnachtsstimmung kommen werde, auch wenn meine Gastfamilie einen Weihnachtsbaum hat und viel weihnachtlich dekoriert ist. Ich habe sogar schon eine Palme mit Weihnachtsdekoration entdeckt. Eine Weihnachtstradition, die hier nicht bekannt ist, ist der Adventskranz. Ich habe aber einen gebunden, und da man Tannenzweige hier vergeblich sucht, habe ich einfach Palmblätter genommen. Das Ergebnis sieht meiner Meinung nach zwar mehr interessant als schön aus, trotzdem bin ich sehr stolz auf meinen multikulturellen Adventskranz.


Am letzten Schultag hat jeder aus meiner Klasse etwas zum Essen mitgebracht und wir haben gemeinsam gefrühstückt. Ich wurde gebeten, etwas deutsches zu machen und habe deshalb Apfelbrot gebacken, meinen Klassenkameraden hat's geschmeckt.

Für mein Stipendium als Botschafter Bayerns wurde ich gebeten einen Erfahrungsbericht über meine ersten Monate in Brasilien zu schreiben.

Das Programm "Botschafter Bayerns" wird vom Bayerischen Staatsministeriums für Bildung Kultus, Wissenschaft und Kunst vergeben und fördert jährlich bayerische Austauschschüler in Brasilien, Bulgarien, China, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Serbien, Südafrika, Tschechien, Ungarn und der Slowakei. Bewerben können sich Schüler im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Auch Mittel- und Realschüler haben gute Chancen. Es gibt keine offiziellen Auswahlkriterien, allerdings dürften soziales Engagement und schulische Leistungen eine Rolle spielen. Zudem wird auf die finanziellen Mittel der Eltern geachtet. Weitere Infos gibt es auf der Internetseite des Kultusministeriums  und von YFU.

Bei meiner Stipendienverleihung


Mein Bericht:
Alles fing mit diesem Flyer an, den meine Mutter letzten Herbst ohne Hintergedanken von irgendwoher mit anderen Faltblättern nachhause brachte. Unter ihnen war auch der, für das „Botschafter Bayerns“ Programm. Ich habe ihn entdeckt, gelesen und die Idee eines Auslandsjahres hat mich nicht mehr losgelassen. Ich hatte schon länger mit dem Gedanken eines Austauschjahrs gespielt, ihn aber nie richtig verfolgt. „Das ist doch viel zu teuer“, dachte ich mir. Und will ich wirklich ein Jahr lang mein gewohntes Leben hinter mir lassen? Doch plötzlich hielt ich dann dieses Blatt Papier in den Händen; an die Möglichkeit eines Stipendiums hatte ich nie gedacht. Also habe ich mich ohne großes Hin- und Herüberlegen beworben. Und das war mit Sicherheit eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

Eines schönen Tages hatte ich dann diesen Brief im Briefkasten. Der Brief, der mein Leben für immer verändern sollte: die Zusage für Brasilien. Je mehr ich über dieses ferne Land erfuhr, desto mehr verliebte ich mich. Die Verschmelzung verschiedener Kulturen, die Musik mit tropischen Rhythmen und dieser süßen Sprache, die Lebensfreude der Einwohner, ich konnte gar nicht erwarten, das alles selbst kennen zu lernen. Das erste Mal richtig „Austauschschülerfeeling“ bekam ich, als mir das T-Shirt mit der Aufschrift „In der Welt zuhause“ überreicht wurde. In dem Moment wurde mir bewusst, ich bin Austauschülerin und damit Teil einer unglaublich tollen und großen Familie, die über alle Grenzen hinweg „in der Welt zuhause“ ist. Eine Familie junger Menschen, die sich aufmachen, alles an das sie sich ihr Leben lang gewöhnt haben verlassen, für ein Jahr in eine andere Welt eintauchen und damit die Erde ein klein bisschen näher zusammenrücken lassen.

Das gleiche T-Shirt hatte ich an, als ich mich am Flughafen mit letzten Umarmungen von meiner Familie verabschiedete. Jetzt ging es los nach Brasilien, in das Land in dem ich die nächsten 11 Monate leben darf, mehr als 10 000 Kilometer entfernt von meinen Freunden und meiner Familie, bei denen im Allgäu der Alltag ganz normal weitergeht, während ich das Abenteuer meines Lebens habe.

Abschied von meinen Eltern und Geschwistern...

und Begrüßung meiner brasilianischen Familie

Drei Monate bin ich jetzt hier. Seitdem ist aus dem Abenteuer Alltag geworden. Meine Gaststadt ist für mich wie eine Heimatstadt geworden, in der ich nach einigen Problemen auch endlich verstanden habe wie die Busse funktionieren und weiß, wo welches Viertel liegt. Sollte ich mich trotzdem noch einmal verlaufen, dann suche ich einfach das Meer und laufe am Strand entlang bis zur „Bootshaltestelle“. Meine Stadt Laguna liegt nämlich, wie der Name unschwer vermuten lässt, an einer Lagune und deshalb auf zwei Halbinseln. Diese werden von einem Kanal getrennt, in dem sogar Delfine und Wasserschildkröten zuhause sind. Über diesen Kanal führt keine Brücke, allerdings gibt es einen Boottransfer, der ständig Leute vom einen zum anderen Ufer befördert. Auf der einen Insel befindet sich das Stadtzentrum, viele Wohnhäuser und auch meine Schule. Auf der anderen Halbinsel wohne ich. Mein Viertel wirkt mit seinen Restaurants, der Bäckerei (die eigentlich eher einem kleinen Supermarkt gleicht), traumhaften Stränden, vielen kleinen Häusern, die selten höher als ein Stockwerk sind, einer kleinen Kirche und seinen Einwohnern, die sich untereinander kennen, fast schon wie ein eigenes Dorf und eine andere Welt.


In einem der Häuser wohnen meine Gasteltern, mein 25-jähriger Gastbruder und seit zwölf Wochen auch ich. Meine Gastfamilie ist mir schon sehr ans Herz gewachsen und ich bin sehr froh, bei ihnen gelandet zu sein. Mit ihnen war ich zum Beispiel schon beim Wale beobachten, beim Angeln und beim Stand-Up Paddeln. Spannend ist es auch wenn sie mir die tropische Tierwelt mit Wasserschweinen oder mehr als faustgroßen Wasserschnecken, deren deutschen Namen ich immer noch nicht herausfinden konnte, zeigen. Mein Gastvater meinte einmal: „Keine Angst, die Spinne ist nicht giftig, es tut nur weh, wenn sie dich beißt. Die Kleinen sind die tödlichen.“ Diese Aussage hat mich aber nicht unbedingt beruhigt.



Ein anderer großer Teil meines Austauschjahres hier ist die Schule. Ich gehe wie die meisten brasilianischen Jugendlichen, die über genügend finanzielle Mittel verfügen, auf eine Privatschule. In meiner Klasse habe ich mich seit dem ersten Tag wohlgefühlt und wurde sehr gut aufgenommen. Auch die Lehrer haben mich an meinen ersten Tagen mit Umarmungen und Küsschen begrüßt, was ehrlich gesagt anfangs ein bisschen befremdlich war. Allerdings ist Körperkontakt hier viel häufiger und gehört beim Umgang mit anderen Menschen dazu. Zudem ist die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern viel herzlicher. Die Lehrer werden mit Vornamen angesprochen und ich war sogar schon einmal mit meinem Geschichtslehrer und Klassenkameraden beim Pizza essen.


Ich habe von Anfang an alle Proben mitgeschrieben, auch wenn sie für mich nicht zählen. Fächer wie Portugiesisch und Biologie fallen mir zwar noch sehr schwer, aber zum Beispiel in Physik, Mathematik und sogar Geschichte und Geographie habe ich oft fünf bis sieben von zehn möglichen Punkten und habe damit nicht selten bessere Noten als meine Klassenkameraden.
Zweimal durfte ich auch schon eigene Referate halten, eines über mein Leben in Deutschland und die deutsche, bzw. bayerische Kultur und einmal über deutsche Geschichte. Diese Präsentationen bargen für mich viele Chancen. Zum einen hat es mich gefreut, meinen Klassenkameraden und Lehrern von meiner deutschen Kultur zu erzählen und so für mehr Verständnis sorgen zu dürfen. Außerdem war der Blick „von außen“ in mein gewohntes Umfeld auch für mich sehr spannend.
Vieles in Brasilien unterscheidet sich von Deutschland, bei kulturellen Unterschieden ist es aber stets wichtig die Einstellung „nicht besser, nicht schlechter, nur anders“ zu besitzen. Einer der größten Unterschiede liegt vermutlich in der Lebensart. Brasilianer sind meistens gut gelaunt. Sie schauen nicht auf das, was sie nicht haben, sondern auf das, was sie haben und sind meist optimistisch eingestellt. Das heißt aber auch, dass ernste Themen und Probleme nur selten angesprochen werden. Außerdem ist man hier sehr offen. Fremde werden schon nach kurzer Zeit zu amigos, also Freunden. Ein Wort für Bekannte gibt es eigentlich nicht. Ofeito für zufrieden eingefallen. In Brasilien kann das Wort esperar für warten auch hoffen bedeuten. Wenn man auf jemanden wartet, hofft man also auf ihn. Ich habe die Brasilianer aber eigentlich meisteft gibt die Sprache Einblick in die Kultur. Es gibt zum Beispiel kein Wort für satt im portugiesischen. Als ich meine Gasteltern danach gefragt habe, ist ihnen nach ein bisschen Überlegen nur das Wort satisns als zuverlässige Menschen kennengelernt.
Mittlerweile verstehe ich den Großteil von dem was gesprochen wird. Ich habe auch angefangen Bücher auf Portugiesisch zu lesen. Ich kann natürlich noch nicht fließend sprechen, aber mich trotzdem  schon ganz gut verständigen. Ich habe bereits in Deutschland einen Portugiesischkurs besucht, was mir sehr geholfen hat. In meinem Umfeld sprechen die wenigsten Englisch, weshalb ich von Anfang an fast ausschließlich Portugiesisch gesprochen habe, was beim Lernen natürlich sehr hilfreich ist. Jetzt im November wird es immer wärmer und ich war auch schon im Meer beim Baden. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie es sein wird, Weihnachten am Strand zu feiern.

Ich wünsche euch allen noch eine ganz schöne Vorweihnachtszeit, genießt deutschen Glühwein und erfriert nicht in der bayerischen Kälte. ;)

Beijos,

Kommentare